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Es gibt sicherlich einige Menschen, die mir nicht unbedingt zustimmen werden, aber die Erben haben ziemlich viel Humor. Das Problem liegt wohl häufig darin, dass kaum jemand diesen Humor versteht und alles für bare Münze genommen wird. Z.B. gab es in der Orkus einen Steckbrief, in dem die Frage auftauchte, wovor Oswald sich ekelt, seine Antwort war dann „Sex“. Ein weiteres Beispiel für den nicht verstandenen Humor stellt das Stück „Iphigenie“ dar („Ihr Vater schickte sie in die Metzgerei am Ort - Zu einem freundlichen kleinen dicken Mann - Und er mochte kleine Mädchen.“). Es wurde selten verstanden, wie es wirklich gedacht ist. Eigentlich ist das Lied ein ganz zynischer Abgesang an die Leute, die immer andere Leute ausnutzen, damit sie weiterkommen. Es geht um den Begriff Iphigenie aus Goethes „Taurus“ - das ist der einzige Querverweis zu Goethe - die für die Interessen der Gesellschaft geopfert wird. Zweiter Weltkrieg, irgendwo in Deutschland ein Metzger, der irgendwelche Kinder und Erwachsene umgebracht hat, damit er andere Leute ernähren konnte. Das ist der Gedanke und die meisten sahen nur das Scheinbare der Oberfläche („oh, das ist ein Kannibalenstück “). Der Grund, warum die Erben „Iphigenie“ so selten live spielen, ist, dass sie keine Lust haben, den Sinn jedes Mal zu erklären.

Vor der Live-Inszenierung von „Ganz sanft“ fordert Oswald mal eben, dass die 10 Gebote halbiert werden, weil sich damit das Problem der überfüllten Hölle erledigen würde. Es passiert auch, dass ein Konzert mit einer Coverversion beendet wird, die keiner hören will, keiner kennt und sehr komisch für die Leute klingen muss („Prince Charming“ von Adam & The Ants). Auch bei „Kondition: Macht!“ durfte man ab und zu mal lachen. Ihr seht, die Erben besitzen einen provokativen, sarkastischen Humor und überraschen immer wieder mit ihrer Art.

Die Erben benutzen nicht einen Stil für eines ihrer Werke, sie sind frei innerhalb aller Stilarten. Jede CD ist eine weitere Station innerhalb ihres künstlerischen Schaffens.

Die Erben suchen bewusst Gegensätze zwischen Musik und Text um Reibungspunkte zu schaffen. Sie wollen ein nachdenkliches Publikum und nicht nur rein konsumierende MTV-Masse. Ein Beispiel hierfür ist „Nur ein Freund“ vom „Schach ...“-Album. Es ist einer der deprimierendsten Texte auf diesem Album, die Musik aber ist im Gegensatz dazu fröhliche Untermalung, fast schon Kirmesmusik („Der Tisch ist hinter irgendeiner Tür verschwunden - Durch eine dieser Türen trat auch ein Freund aus meiner Welt - Nur ein Freund ?“).

Unverständlicherweise wurde Goethes Erben Rechtsradikalität wegen des Namens und der altdeutschen Schrift von früher vorgeworfen. Jeder, der sich auch nur ein wenig mit der Band auseinander setzt oder die MCD „Die Brut“ aufmerksam gehört hat („schließlich die eigene Art“, „Auch Röhm war nur ein brutaler Schläger“), dürfte darüber nur seinen Kopf schütteln. Hieran sieht man mal wieder, wie schnell Vorurteile entstehen, nur weil man sich nicht mit den Hintergründen auseinander setzt. Die Erben sehen sich eigentlich als sehr liberal und auch nicht als politische Gruppe.

Oswald ist mittlerweile nicht nur der „Rebell“, sondern inzwischen auch als Produzent anderer Bands tätig geworden. Er sieht seine Zukunft nicht auf der Bühne als Sänger von irgendeiner Gruppe, sondern als Hintergrundakteur. So hat er z.B. die Jungschnecken, aber auch eine „Heavy Metal“-Band produziert.
Die Erben lassen sich produzieren, da man als Band keinen Abstand zu der Musik hat und jemanden braucht, der von außen sagt, was gut ist und was nicht. Ein guter Produzent erkennt die Stärken und versucht, die Schwächen auszumerzen. Oswald sagte einmal, dass sowohl Vladimir Ivanoff, als auch FM Einheit die gleichen Stärken und die gleichen Schwächen bei Goethes Erben gesehen haben.

Die Grundharmonien werden von Oswald und Mindy gelegt, sie entwickeln die Stücke, das Arrangement wird dann allerdings mit der Band zusammen geschaffen. Häufig komponieren sie, wenn sie schlecht drauf sind (Oswald: „Wenn du positiv drauf bist, denkst du nicht allzu viel nach in deinem Leben, wenn du etwas melancholisch drauf bist, dann konzentrierst du ich auf Kleinigkeiten, auf Details und das wirkt sich unwahrscheinlich auf meine Arbeit aus “).

Mindy versucht sich mit fröhlichen Melodien zu beruhigen, wenn sie ein schlechtes Gefühl hat. Bei Oswald ist das genau umgekehrt (Mindy: „Also, der will, dass alle Leute auch mit ihm leiden“).

Den Inhalt der Lyrik von Goethes Erben unmittelbar nachzuvollziehen ist nicht einfach. Es handelt sich meistens um abstrakte Impressionen, die den „normalen“ Alltagswahrnehmungen nicht entsprechen. Erbens Lyrik ist bedeutungstief und jeder, der sich darauf einlässt wird Teil des schöpferischen Prozesses. Zum näheren Verstehen ist es hilfreich, Konzerte von ihnen zu besuchen und zwischen den Stücken genau zuzuhören. Häufig fällt der eine oder andere erklärende oder erläuternde Satz von Oswald und man kommt dem tieferen Sinn nach und nach etwas näher. Des Öfteren assoziiert man beim ersten Hören eine andere Bedeutung. Ein Stück wie „Das Sterben ist ästhetisch bunt“ behandelt z.B. die Schönheit des Herbstes. „Die letzte Nacht“ behandelt die Gedankenwelt eines Priesters, der jahrelang seine Wünsche und Triebe unterdrücken musste. Auf einer anderen Assoziationsebene handelt der Text auch von einem Menschen, der eine geliebte Person nie erreichen konnte. „Der Weg“ handelt von einem Verbrecher, der auf dem elektrischen Stuhl endet.

Oswald verschlüsselt gerne seine Gedanken und zwingt den Hörer dazu, über den Inhalt nachzudenken und sich mit sich selbst auseinander zusetzen. Oswald besitzt einen starken Hang zur Symbolik. In den Texten von „Ich möchte nicht länger“ („...und wieder spiegelt sich meine eigene Angst - Ich seh den Tod zum letzten Mal lächeln...“) und „Spuren im Schnee“ („...ich bin todmüde, - als hätte ich Jahre nicht geschlafen - ich fühle mich schwach - ich schließe die Augen und schlafe ein - ... beginne zu träumen...“) geht es zwar um das Thema Selbstmord, aber deswegen bringt sich Oswald ja nicht gleich um.

Lyrik zu schreiben hat für Oswald auch Therapiewert. Nicht jedes Stück erweist sich beim ersten Hören als schwierig, es gibt aber häufig mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Z.B. lässt der Satz „Der Tod ist nur eine wahre Lüge“ aus „Himmelgrau“ mehrere Schlüsse zu. Natürlich gibt es auch bei den Erben ganz klare Aussagen (z.B. „Der Mann mit Bart hat längst ein neues Bild begonnen“ aus „Stilleben“).

Die Erben besitzen die Begabung, immer wieder scheinbar Unausdrückbares gekonnt auszudrücken und bewegen sich dabei thematisch nicht nur beim Leben oder Tod, sondern auch dem Zustand dazwischen. Es scheint keine Tabus zu geben, wenn die Erben sich mit der menschlichen Psyche auseinander setzen.

Sehr häufig habe ich erlebt, dass Bilder in meinem Kopf rumgeisterten, für die ich einfach keine Worte fand und auf einmal beim Hören von Satzfragmenten, manchmal auch bei einzelnen Wörtern in den Texten der Erben, kam ich wieder einen Gedankensprung weiter.

Vor allem die Menschen, die erst später mit den Erben in Berührung gekommen sind, könnten sowohl inhaltlich, als auch musikalisch mit der Trilogie Probleme haben. Musikalisch waren die Erben sicherlich dilettantisch, aber ich finde gerade das machte den Reiz aus. Es wurden keine Mehrfachspuren verwendet, es gab kein sauteures, hochmodernes Equipment, es gab viele Ecken und Kanten. Mit teils sehr einfachen Stilmitteln wurde eine Stimmung erzeugt, die durch den Sprachgesang Oswalds sehr aufreibend wirkt, häufig war die Musik nur eine Untermalung der Lyrik. Bereits damals bemerkte man sehr deutlich, wie perfekt Oswald die deutsche Sprache beherrscht und wie er mit ihr spielt. Bei aller Kritik darf man nicht vergessen, dass Rom auch nicht in einem Tag erbaut wurde und wenn man z.B. Sprachen lernt, dann beginnt man zuerst mit ein paar Vokabeln und ist nicht sofort Fremdsprachenkorrespondent.

Aus heutiger Sicht erscheint mir ein musikalischer Vergleich mit den früheren Werken als nicht sinnvoll. Es war damals der Beginn von etwas ganz Neuem und ich persönlich mag auch heute noch die Trilogie. Gerade ein Stück wie z.B. „Flüstern“ („Urplötzlich hat es begonnen, zu mir zu sprechen. - Nicht laut und deutlich waren die Worte - Die Stimme zelebrierte sie leise und freundlich“) oder „Mit dem Wissen“ („Es ist nicht Absicht meiner Tat - den Kindern ihre Freude zu rauben, - aber es wird besser sein sie zu töten, - um sie vor dem Kommenden zu bewahren. - Ein sanfter Tod - unbemerkt - kann etwas sehr schönes sein.“) finde ich noch immer faszinierend.

Was ich damals schon nicht nachvollziehen konnte, war die Kritik, dass die Erben auf irgendeinen Klischeezug springen würden, den man „neue deutsche Todeskunst“ nannte und dass sie als Plagiat von Das Ich bzw. Lacrimosa dargestellt wurden. Diese drei Künstler haben nur eines gemeinsam und das ist die deutsche Sprache. Die einzige Schublade, die ich damals zugelassen hätte, wäre „Avantgarde“ gewesen. Die stilistische Entwicklung dieser Ausnahmeband zeigt die enorme Qualität der Veröffentlichungen, die im Laufe der Jahre immer mehr zugenommen hat. Oswald ist halt ein absoluter Perfektionist. Innerhalb von Goethes Erben kann alles passieren, nur nicht, dass eine Fremdsprache Hauptträger wird.

Es ist auffällig, dass sich Oswalds Stimme im Laufe der Zeit vom reinen Sprachgesang immer mehr in einen melodischen Gesang gewandelt hat. Es gibt auch bei „Nichts bleibt wie es war“ noch Sprachgesang („Zimmer 34“, „Fleischschuld“), aber es scheint, als ob seine Stimme immer häufiger auch als gefühlsgebendes Instrument eingesetzt wird.

Es gibt sicherlich einige, die Oswald für verrückt halten, weil sich die Erben häufig zwischen Melancholie und Wahnsinn befinden, aber man muss hierbei sehen, dass er ein Schauspieler ist. Sicherlich lebt er einen Teil seiner Persönlichkeit auf der Bühne aus, dazu gehört es aber einfach, dass man, wie jeder Schauspieler, überzeichnet. Künstlerische Arbeit ist in Oswalds Augen nicht die Darstellung der Realität, er verarbeitet die Realität auf künstlerische Art und Weise. Sinn der Dramaturgie ist, Leben und Welt in ein Musiktheater zu verwandeln.

Wie es bei den meisten Künstlern der Fall ist, versuchen auch die Erben sich in bestimmter Weise mit ihrer Musik unsterblich zu machen. Oswald bezeichnet die CDs immer als Kinder, man lebt als Mensch eigentlich in den Kindern weiter, in den Gedanken, in den Erinnerungen und da er nicht vor hat, eine Familie zu gründen, sind ihre CDs das, was sie hinterlassen werden, wenn sie nicht mehr existieren. Goethe lebt seit zwei Jahrhunderten nicht mehr, aber man kennt ihn allein durch sein Werk, er lebt in seinem Werk weiter und auch verstorbene Regisseure leben in ihren Werken weiter; man erinnert sich einfach an sie in dem Moment, wo man die Kunst dieser Menschen hört/sieht. Um ein Teil der Ewigkeit zu werden, muss man künstlerisch etwas schaffen, was über den Tod hinaus bestehen bleibt (Oswald: „Bewirke etwas, dass sich der Dimension Zeit entzieht“).


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