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Zum Thema „Leben“ sagt Oswald, dass es eigentlich der Sinn des Lebens ist, das Leben so zu genießen oder so hinzubiegen, dass man angenehm lebt und möglichst irgendetwas Positives bewegt; der Sinn des Lebens ist für ihn, zu leben.

Vor dem ersten Teil der „Nichts bleibt wie es war“-Tour im April 2001 wurde lediglich die MCD „Der Eissturm“ veröffentlicht. Die textliche Inspiration für „Der Eissturm“ fand Oswald in dem gleichnamigen Film von Ang Lee. Das Stück handelt von einem Kind, das im Sturm verloren geht, dieses scheitert an der Kälte seiner Umwelt. Der Begriff „Sturm“ lässt sich synonym für das Wort „Leben“ verwenden.

Das neue Album wurde anfangs wiederum „nur“ ausgiebig live vorgestellt und es war lange unklar, ob es überhaupt auf CD erscheinen würde. Obwohl es hier keinen Tanz mehr gab, wie bei der zweiten Aufführung von „Schach ist nicht das Leben“ und „Kondition:Macht!“, war dennoch für das Visuelle gesorgt – schließlich ist die Kunst der Erben ganzheitlich zu sehen. Auf einer Videoleinwand konnte man Videosequenzen, die auf die einzelnen Stücke abgestimmt waren, bewundern.

Oswald griff so auch zu einer Flex und sorgte für sprühenden Feuerregen auf der Bühne. Hatte fast ein bisschen was von den frühen Neubauten.

Das sehr eingängige Stück „Glasgarten“ wurde als Vorab-MCD veröffentlicht. Es wurde zusammen mit Peter Heppner/Wolfsheim eingespielt und es wurde sogar ein richtig schöner Videoclip erstellt. Ob es am Namen Wolfsheim gelegen hat, sei mal dahingestellt, aber dieser Videoclip wurde tatsächlich auf Musiksendern wie VIVA gespielt und die Single kam in die Media Control Charts. Der Videoclip und eine Dokumentation über das Entstehen des Clips wurden auf der limitierten DVD „Auf der Suche nach dem Glasgarten“ veröffentlicht.

Oswald und Peter haben sich bei dem German Alternative Music Award kennen gelernt und Oswald sprach Peter an, ob er nicht Lust hätte, bei „Glasgarten“ zu singen. Peter war von der Idee begeistert, da er sich durch dasselbe Label schon vorher Gedanken über eine mögliche Zusammenarbeit gemacht hatte. „Glasgarten“ ist erneut ein Märchen, das verschieden interpretiert werden kann, es geht um die Verletzlichkeit von Gefühlen und Vertrauen.

Zum großen Glück aller Fans erschien das Album dann im Herbst 2001 doch auf CD, es wurde unter Regie von Jürgen Jansen in den Candyland Studios von Project Pitchfork produziert. Hierfür bin ich persönlich auch sehr dankbar, gerade das Stück „Was war bleibt“ als Goethes Erben-Version sorgt bei mir heute noch für Gänsehaut und Tränen in den Augen. Diese Harmonie zwischen Oswalds Gesang, dem Klavier, der Gitarre und der Geige ist einfach grandios...

Musikalisch war „Nichts bleibt wie es war“ noch ausgefeilter und abwechslungsreicher, als die vorherigen Alben, teilweise schon fast harmonisch oder melodiös. Erstmals wurde eine CD der Erben mit sämtlichen Mitgliedern der Live-Besetzung gemeinsam produziert. „Vermisster Traum“ wurde vor allem von Matthias Konrad musikalisch beeinflusst, „Himmelgrau“ („Ich bin das Fleisch auf dem Gabentisch der Macht“; „Der Tod ist nur eine wahre Lüge“) wurde vom Rhythmus von Markus Köstner bestimmt.

Dreimal dürft Ihr raten, wer „Zimmer 34“ („Die Unentschlossenen bleiben zurück. - Sie sehen nicht. - Sie sprechen nicht. - Sie denken nicht. - Machen keine Fehler. - Zumindest glauben sie das.“) im völligem Alleingang umgesetzt hat.
„Zimmer 34“ beschäftigt sich mit dem gesellschaftlich akzeptierten, fast schon industrialisierten Selbstmord. Klingt auf den ersten Blick nach Utopie; geschieht aber in abgeänderter Form heutzutage bereits in Krankenhäusern, Altenheimen usw. – Hauptsache leicht zu reinigen.

Die 15 Stücke der CD sind in drei Kapitel geteilt. Der erste Teil ist sehr eingängig und nennt sich „Zeit nachzudenken“, im zweiten Teil, „zornige Utopien“ wird es schwerer verdaulicher mit teils heftigen Gitarren und brachialer Elektronik und im dritten Teil, dem „Resümee“ wird es wieder harmonischer. Zwischen Industrial, Klavierballaden und fast schon klassischem Rock ist alles dabei.

„Nichts bleibt wie es war“ ist all das, was Goethes Erben bisher ausgemacht hat, diese CD zeigt die ganze Bandbreite. Es stellt streckenweise eine Zusammenfassung des bisherigen Schaffens dar und verweist gleichzeitig auf die musikalische Entwicklung der Erben. Auf diesem Album ist jeweils ein Stück der Side-Projekte von Mindy und Oswald erschienen, die sich thematisch hervorragend in das Gesamtbild fügen. Der Still Silent Hit „Shockwaved“ (im Original gesungen von Peter Spilles) wurde zum Titelsong „Nichts bleibt wie es war“ adaptiert, der einen Atombombenabwurf beschreibt. Der Text hierzu ist lange vor dem 11. September 2001 entstanden und gehört zu dem Teil „Zornige Utopien“.
Wenn man in dem Stück hört „Geschosse aus Stein und Hagel aus Glas, zerschneiden, durchbohren, Häuser stürzen, begraben was war“, dann erschrickt man einmal mehr darüber, wie die Realität die Schreckensvisionen von Oswald Henke inzwischen eingeholt hat. Der Song „Was war bleibt“ von der ersten Erblast-CD „I“ wurde auf diesem Album umarrangiert und bekam deutlich mehr Lebendigkeit.

Symbolisiert durch die Puppe aus Oswalds Kindheit stellt „Vermisster Traum“ die Reise zurück zum Ursprung dar. Die Puppe ist das Letzte, was dem Kind aus „Der Eissturm“ geblieben ist. Seine Seele findet keine Ruhe und kehrt zurück, um diese Puppe zu holen.

Stellenweise wurde diese CD in Rezensionen verrissen, häufig durch das sehr kontroverse Stück „Fleischschuld“ („Kleine Finger umfassen vorsichtig das dreieckige, rasierklingenscharfe Messer und treiben es in das eigene Fleisch. Jedes Kind versucht zuerst sich schonend zu bestrafen, doch das Gesetz fordert immer die korrekte Einhaltung des Tributes an eigenem Fleisch“) ausgelöst. Hier hat man sich darüber beschwert, wie detailliert die Beschreibung der perversen Art und Weise einer krankhaften Bestrafung wäre. Es geht in diesem Song um einen fiktiven Staat, in dem die einzigen Formen der Sühne die Selbstverstümmelung und unterschiedliche Formen der Todesstrafe sind. Die Gesellschaft in diesem fiktiven Staat will diese Form der Sühne. Dieses Stück ist als bitterböse Utopie anzusehen, jedoch fürchte ich, dass diese Utopie so abwegig gar nicht ist. Wenn man genauer hinschaut, sieht man immer wieder, wieviel „Fleischschuld“ schon in unserer Gesellschaft steckt.

Das Fazit dieses Albums ist ganz klar: nachdenken und handeln! - Mit „Nichts bleibt wie es war“ sind die Erben Anfang 2002 nach der Veröffentlichung auf Tonträger ein zweites Mal auf die Bühnen zurückgekehrt und hatten diesmal bei einigen Auftritten Herrn Peter Heppner im Schlepptau, mit dem dann „Glasgarten“ gemeinsam inszeniert wurde.

Michaela Paarmann

Dies ist der zweite Teil eines 3teiligen Goethes Erben-Specials, welcher in der Gothic Nr. 52 erschienen ist.


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