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Kommen wir zu "Schattendenken", dem bislang letzten Werk von Goethes Erben.

Mit "Schattendenken" wurde Ostern 2004 an 10 Abenden erneut ein zusammenhängendes Musiktheaterstück inszeniert.
Inhaltlich ist auch "Schattendenken" alles andere als leicht verdaulich.

Wie bereits bei "Kondition: Macht!" wurde hier eine zweite Sprechrolle vergeben, welche von Carsten Klatte, damaliger Live-Gitarrist der Erben, übernommen wurde. "Schattendenken" liegt irgendwo zwischen Rebellion, Märchen und Drama.

Auf der Bühne befand sich ein kleiner Raum mit einem Bett, Tisch & Stuhl. Sämtliche Live-Musiker waren vor der Bühne platziert, nicht direkt auf der Bühne.

"Schattendenken" beginnt mit einer Szene, in der unser Protagonist Oswald auf einem Bett schläft. Währenddessen betritt ein grau gekleideter Wärter (Carsten Klatte) die graue Zelle und bringt Jasmintee, Zettel und Stifte. Der Wärter beobachtet den Schlafenden noch eine Weile und verschwindet leise.

Der Hauptakteur erwacht und beginnt, den Jasmintee zu trinken. Die graue Kleidung erinnert an Sträflingskleidung. Am Hemd und am Hosenbein prangte, schrecklich sachlich, ein Barcode, wie er auch zur Kennzeichnung käuflich erwerbbarer Waren, z.B. CDs, verwendet wird.

Beflügelt durch den Jasmintee, schreibt bzw. malt die Hauptperson des Stückes seine Erinnerungen aus seinen Träumen, aus seiner Vergangenheit, auf. Eingesperrt in der Zelle, bleibt ihm nur die Möglichkeit der Flucht durch seine Träume. Er ist gezwungen zu schreiben, seine unausgesprochenen Gedanken zu verarbeiten. Diese Gedanken sind auch Ausdruck der Geschichte der Erben selbst.

Das Märchen, welches vom Protagonisten aus seinen Träumen heraus geboren wird, erscheint in Form eines Zeichentrickvideos auf einer Filmleinwand. Es handelt von einem schwarzen Schwan mit gelben Augen und einem weißen Kind mit Flügeln und roten Augen, die am Ende der Menschenzeit im gleichen Augenblick geboren werden, aber voneinander getrennt in einer weißen Winterlandschaft aufwachsen.

Von "Prolog zu einem Märchen" geht es über in "Tage des Wassers", wozu ebenfalls ein gezeichnetes Video auf der Leinwand erscheint.

Der kleine Engel hat sich einen Flügel gebrochen und sitzt bereits seit 90 Tagen weinend an einem See, der zwischenzeitlich gefroren ist. Der schwarze Schwan sieht den kleinen Engel und empfindet Mitleid. Er schenkt ihm einen seiner Flügel, da er weiß, dass dies sein letzter Winter ist. Der Engel ist dankbar und die Tränen, die er jetzt weint, bringen das Eis zum schmelzen.

Der Protagonist freut sich ob seiner Fantasie, tobt im Raum herum und benutzt sein Bett als Trampolin.

Wieder betritt der Wärter die Zelle. Diesmal mit einem weiteren Menschen, dem Opfer, und einem zweiten Wärter. Der zweite Wärter rasiert dem Opfer die Haare ab (es gab an jedem der zehn Abende ein Opfer, welches als Opferschaf benutzt wurde).
Der Protagonist verlangt nach einer Erklärung, weshalb dieser Mensch so behandelt wird. Der Wärter erklärt, dass der Mensch ein Freiwilliger ist, der für die Kunst des Gefangenen auf diese Art bezahlt. Der Akt der Opferung der Haare soll überdies den Gefangenen dazu verleiten durch Schuldgefühle weitere kreative Gedanken künstlerisch umzusetzen. Ein perfides Spiel also, wobei irgendwann unklar wird wer Täter und Opfer ist.

Er erkennt, dass die Hörhuren seine Texte nur benutzen, um sich das aufwendige Nachdenken über ihr eigenes Leid zu ersparen. Die Erkenntnis, dass es nur um ihre voyeuristische Befriedigung geht, lässt den Rebell nicht mehr los.

Er beschließt, nicht mehr zu schreiben und erkennt, dass es Träume nur durch Schlafen geben kann; er verweigert weiteren Schlaf.

Oswald ist allein in dem Raum, schüttet den Jasmintee weg, zertrümmert sein Bett und wartet auf die durch den Schlafentzug erscheinenden Alptraumwesen. Tagträume bekommen ein hässliches Gesicht und die Grenze zum Wahnsinn verschiebt sich, letztendlich lässt er sich auf das Endspiel ein ("Alptraumstudio"), stellt sich seiner Angst und seiner Vergangenheit.

Der Wärter betritt erneut das graue Zimmer und schüttet Tee nach, der vom Rebellen verweigert wird.
Als er endlich allein ist, wartet er auf die Schatten, auf die Träume, die ihn im Wachschlaf besuchen. Der Hauptdarsteller scheitert bei dem Versuch, seine Gedanken nicht mehr aufzuschreiben, seine Seele schreit.
Er kapituliert dennoch nicht, er sucht und findet eine Lösung. Er schreibt seine Gedanken auf seine Haut und wischt die Worte mit dem Jasmintee wieder ab ("Kopfstimme").

Den Schluss bildet das Stück "Lebend lohnt es", dessen Schlüsselsatz "denn nur lebend lohnt es sich zu ... sterben", wie schon oft eine ungeheure Aussagekraft hat.

Untermalt werden die Texte Oswalds durch eine Mischung aus ruhiger, elektronischer und aggressiver Musik. Es gibt sehr viele unterschiedliche, musikalische Stilmittel.

Zu "Schattendenken" wird eine DVD-Box erscheinen.


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