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Auf die Frage, ob er lieber im Studio arbeitet oder Konzerte gibt, sagt Oswald, daß er mittlerweile eigentlich schon gar nicht mehr weiß, was er mag. Es ist für ihn teilweise sehr deprimierend, Liveauftritte zu geben und Studioarbeit artet oftmals in absoluten Streß aus, weil man mit der Technik umgehen und eigentlich schon bald Computerfachmann sein muß, um im Studio mit diesen ganzen Computern, Samplern und Sequenzern arbeiten zu können. "Beides hat seinen Reiz, wobei ich nach zwei Tagen Studioarbeit mindestens eine Woche Erholungspause brauche, weil sonst mein Equipment irgendwo zerschmettert an der Wand liegen würde, wenn etwas nicht funktioniert. In Dieser Beziehung bin ich sehr ungeduldig. Live zu spielen kann das Wunderbarste, aber auch das Gräßlichste sein, was man sich vorstellen kann. Das Festival in Bonn war für mich zum Beispiel ein Fiasko, etwas Enttäuschendes. Vielleicht sind wir auch mit zu hohen Erwartungen an das Konzert herangetreten. Wir hatten das Gefühl, man spielt gegen eine Wand. Die Leute haben einfach nicht reagiert, beziehungsweise sehr viele nicht und die wenigen gingen dann in der Masse unter.

Goethes Erben sind eine Gruppe, die gesehen werden muß, gerade auch meine Person, wenn sie auf der Bühne agiert. Dies ist vor allem wichtig, da wir keine spektakuläre Bühnenshow inszenieren, sondern gestik und Mimik eine sehr große Rolle spielen. Am besten vergleichen kann man dies mit einem Theater und da gibt es auch nur eine festgelegte Höchstanzahl des Publikums."

Außerdem sollte bei einem Erben-Konzert Ruhe und Aufmerksamkeit herrschen, um der Handlung folgen zu können, was man bei einer solch großen Masse von Leuten wie in Bonn natürlich total vergessen kann. Dazu kam schließlich noch der Aspekt, daß die Bühne viel zu groß war und sich so alles etwas verloren hatte. Oswald gibt offen zu, daß ihm auf einer Bühne dieser Größenordnung auch die Erfahrung fehlt, da die Clubs, in denen sie sonst spielen, oft gerade mal so groß sind wie die gesamte Festivalbühne.

"Was mich entsetzlich genervt hat, war dieser Abstand zum Publikum, so daß ich waghalsige Sprünge riskieren mußte, um den Kontakt zu den Leuten einigermaßen erhalten zu können. In Hamburg war das Publikum ganz nah. Es waren zwar auch sehr viele Leute, aber sie standen direkt vor der Bühne und ich habe dann bei "Die letzte Nacht" ein weibliches Wesen zu mir heraufgeholt, um sie miteinzubeziehen. Bei "Fünf Jahre" gehe ich zum Beispiel in die Zuschauerreihen und flehe die Leute textbezogen : "Bitte, bitte, laßt mich raus." Manchmal steht dann in den Augen eine Spur von Mitleid. Hier ist dann nicht das Problem, daß die Leute unbeteiligt wären. Deshalb gehe ich auch direkt ins Publikum, damit sie Teil des Ganzen werden und ich denke auf diese Weise fühlen sie auch mehr mit. Auf die direkte Konfrontation reagieren die Leute sehr unterschiedlich. Oft fangen sie an, sich über mich lustig zu machen, manche schauen ganz schockiert, manche werden auch aggressiv wenn ich zu grob bin. Ich bin da nicht so unbedingt ein zurückhaltender Mensch, sondern ich schüttel sie auch schon mal durch.
Bei unseren Konzerten muß man damit rechnen, daß man in den vorderen Reihen Wachs an den Kopf geworfen bekommt oder mit meiner Person in Kontakt tritt."

Das mit dem Wachs wollte ich dann doch einmal näher erklärt bekommen.

"Es passiert manchmal, daß ich Kerzen umkippe und die dann in die Zuschauerreihen fallen, aber ich bin auch schon desöfteren mit Wachs bekleckert worden. Ich habe meistens irgendwelche Brandblasen oder blutige Schienenbeine nach den Konzerten, weil ich oft über Dinge stolpere, die auf der Bühne liegen. Es ist mir auch schon mal passiert, daß ich mich selbst anzündete."

Das klingt alles recht exzessiv und wirft eigentlich schon die Frage auf, wie sehr sich Oswald auf der Bühne verausgabt. Mt einem Grinsen antwortet er schließlich : "Ausreichend. Einen Marathonlauf kann ich danach nicht mehr tätigen." Etwas ernstahfter fügt er schließlich hinzu, daß er sich wirklich sehr intensiv verausgabt und auch während des Konzertes immer Traubenzucker zu sich nehmen muß, da er sonst Stoffwechselprobleme bekommt.

Auf die Frage, ob ihn diese Musik irgendwo befreit, antwortet Oswald : "Es kommt ganz auf das Publikum an. Wenn das Konzert gut läuft, befreit es sehr und macht auch Spaß. Aber wenn man dann vor einem desinteressierten Publikum spielt, ist das so frustrierend, daß ein schlechtes Konzert durchaus zehn Gute aufwiegen kann. Wir hatten im letzten Jahr etwa sechzehn Auftritte, wovon drei einigermaßen zufriedenstellend waren. Das hat auch insofern Konsequenzen, daß man Goethes Erben dieses Jahr nicht allzu häufig auf Konzertbühnen antreffen wird. Die Leute, die das Konzert interessiert, sollen kommen und die, die das ganze lediglich als Treffpunkt Gleichgesinnter ansehen, solen zuhause bleiben."

Auf die Frage an Mindy, ob sie irgendetwas über Oswald loswerden möchte, bekomme ich zu hören, daß sie mit der Zusammenarbeit zufrieden ist und sich auch sonst nicht beklagen kann. "Sie hat manchmal schon allen Grund sich zu beklagen. Wenn es um bestimmte Dinge geht, bin ich ein entsetzlicher Tyrann.", wirft hier Oswald ein. Mindy erzählt nun, daß es am Anfang schon schwer war. Aber inzwischen kennt sie Oswald und hat sich an ihn gewöhnt. Dieser meint schließlich : "Was zählt ist das, was dabei herauskommt. Daß ich egozentrisch bin, weiß ich selbst und Mindy weiß das mittlerweile auch. Wir ergänzen uns eigentlich ganz gut. Es gibt keinerlei Defizite, wo wir jetzt sagen : Mein Gott, warum funktioniert das nicht ? Es funktioniert alles. Wir lassen uns da gegenseitig immer Freiräume.

Beim Komponieren gehe ich eher wie ein Maler vor, der mit schrägen Geräuschen arbeitet, denn ich bin nun mal kein Komponist und gehe daher auch ein Stück von einer ganz anderen Perspektive an. Ich male ein Stück. Da eine Geräuschkollage und hier etwas. Ich suche mir immer zuerst die Sounds aus und konstruiere aus diesen Klangfragmenten meinen Text. Deshalb klingen bei mir die Sachen auch nicht sonderlich harmonisch. Bei Stücken wie "Keine Lösung", "Unrat" oder "Flüstern" hatte ich zum Beispiel die dominanten Einflüsse. Ein Paradebeispiel für die Arbeit von Goethes Erben, Gegenstände so zusammenzubringen, daß daraus wieder eine Einheit wird, ist so ein ganz altes Stück wie "Der Spiegel". Da läuft der Drumcomputerrhythmus gegen den Arrangementrhythmus vom Klavier und gegen den der Stimme. Da läuft alles gegeneinander und durch dieses Gegeneinander klingt dann alles wieder sehr harmonisch. Wir wollen schließlich keine Hits schreiben, sondern unser Bedürfnis nach musikalischer und schriftstellerischer Betätigung befriedigen und das einzige Kriterium, das das Schaffen von Goethes Erben beansprucht, ist, daß es Mindy und mir gefallen muß. Sicherlich gibt es auch Lieblingsstücke oder Stücke, die einem weniger gefallen, und es gibt Kompositionen, die man mittlerweile nicht mehr so gerne hört, aber es gibt Nichts, hinter dem wir nicht mehr stehen. Troy ist ein hervorragender Gitarrist, der weit unter seinen Möglichkeiten spielt. Wir beanspruchen ihn von seinem musikalischen Potential her so, als ob ein Formel-Eins-Pilot auf einem Go-Kart fahren müßte, aber er ergänzt unsere Musik ideal. Wir spielen ja auch nicht bei jedem Stück mit Akustikgitarre, sondern setzen sie nur da ein, wo wir sie als nötig empfinden. Dann macht es auch wieder Spaß, alte Stücke zu spielen, weil sie eben ein anderes musikalisches Gewand bekommen. Man kann einen Mantel fünf Jahre tragen; irgendwann wird er langweilig oder abgetragen und dann legt man ihn beiseite und kauft sich einen neuen. Aber der Träger bleibt immer der gleiche.


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